Freier Journalist
Geschichte aus dem Kleiderschrank
Geschichte aus dem Kleiderschrank

Geschichte aus dem Kleiderschrank

Gewebte Eman­zi­pa­tion: Anhand der Lebens­läufe von sie­ben Frauen erzählt das Ham­bur­ger Museum für Kunst und Gewerbe Mode‑, aber auch sons­tige Geschichte.

taz-Arti­kel

Die Ambi­va­lenz von Nütz­li­chem und Schö­nem wird durch wenig so sehr ver­kör­pert wie durch Klei­dung. Sie ist schüt­zende Hülle für das Per­sön­lichste und zugleich Nach­richt ans Umge­bende. Die zumeist stumme Visi­ten­karte des Selbst pro­vo­ziert, sepa­riert, kann allein Mit­tel zum Zweck sein. Aber sie wird dabei immer auch kom­mu­ni­zie­ren, Geschich­ten erzäh­len. Diese kom­mu­ni­ka­tive Kraft des inein­an­der geweb­ten Garns – und von aller­lei ande­ren Mate­ria­lien auch – stellt das Ham­bur­ger Museum für Kunst und Gewerbe MKG aus anhand von sie­ben Lebens­li­nien. Von 1824 bis ins Jahr 2020 rei­chen die Expo­nate in der Aus­stel­lung „Dres­sed“, macht knapp 200 Jahre Mode­ge­schichte, erzählt anhand der Klei­der­schränke von sie­ben rea­len Ham­bur­ger Frauen.

Vie­les des Gezeig­ten stammt aus der muse­ums­ei­ge­nen Samm­lung Mode und Tex­til, eini­ges kommt von welt­be­kann­ten Designer:innen. Ergänzt wer­den die Stü­cke durch bio­gra­fi­sche Ein­bli­cke, Bil­der, Doku­mente. Geschickt: Über­all in der Aus­stel­lung sind decken­hohe Spie­gel ange­bracht. So wer­den die Besucher:innen auch sen­si­bi­li­siert für die Mode am eige­nen Leib, ja: Sie selbst wer­den zum wan­deln­den Exponat.

Dressed-Ausstellung: Drei Kleider in blau, grau und schwarz von Erika Holst
Erika Holst: Drei Tages­klei­der, 1938 – 42, MK&G, Foto: Anne Schönharting/Ostkreuz

Ganz klas­sisch fest instal­liert sind dage­gen das Hoch­zeits­kleid und die Acces­soires von Elise Frän­ckel: Die Frau eines Sena­tors in der nord­deut­schen Pro­vinz trug trotz ihres länd­li­chen Lebens im 19. Jahr­hun­dert Klei­dung aus inter­na­tio­na­len Schneidereien.

Oder die Gar­de­robe Edith von Maltzans: Die wuchs in den 1890er-Jah­ren in einer rei­chen, pri­vi­le­gier­ten Fami­lie auf. Der Bruch von fro­hen Far­ben und aus­ge­fal­le­nen Klei­dern zu tiefs­tem Schwarz nach dem Tod ihres Man­nes ist exem­pla­risch für die Bezie­hung zwi­schen per­sön­li­chen und modi­schen Biografien.

Wertvolle Schweißflecken

Das kurze Leben der 1917 gebo­re­nen Erika Holst ist gezeich­net vom Natio­nal­so­zia­lis­mus. So tra­gen auch ihre erhal­te­nen Klei­dungs­stü­cke Spu­ren des Krie­ges – und der Tuber­ku­lo­se­er­kran­kung, an der sie 1946 ver­starb. Die Zei­chen der Zeit, die sich tief in die Fasern des Stof­fes ein­ge­gra­ben haben, die repa­rier­ten Stel­len, Schweiß­fle­cken oder Risse hat das Museum als wert­volle Ele­mente ihrer Geschichte nicht zu ver­ste­cken versucht.

In den Bio­gra­fien spie­geln sich Eman­zi­pa­tion und der Wan­del (nicht nur) von Mode

Im heu­ti­gen Ham­burg nicht unbe­kannt ist Elke Dröscher. Die Gale­ris­tin und Betrei­be­rin des Pup­pen­mu­se­ums Fal­ken­stein trug nahezu 20 Jahre lang fast aus­schließ­lich Klei­dung von Yves Saint Lau­rent, einem Vor­rei­ter des Prêt-à-por­ter, der Mode in Kon­fek­ti­ons­grö­ßen. Mit der Krea­tion des Hosen­an­zugs hatte Saint Lau­rent auch sei­nen Anteil an der Eman­zi­pa­ti­ons­be­we­gung der 60er- und 70er-Jahre. Die Samm­lung Dröscher anzu­se­hen ver­mit­telt nun fast das Gefühl, selbst im Geschäft in bes­ter Lage am Ham­bur­ger Jung­fern­stieg zu ste­hen – nur auf Bera­tung (oder ein Getränk) war­tet man im Museum vergebens.

Ein Rock aus Bierdosen

Kon­trär zum geho­be­nen Stil der Gale­ris­tin fin­det sich einige Schritte wei­ter ech­ter Indi­vi­dua­lis­mus: Ines Ort­ner ent­warf und fer­tigte ihre Out­fits selbst; unter dem Nom de guerre „Rapun­zel“ ist sie im Ham­bur­ger Punk und Thea­ter in den 1980er-Jah­ren bekannt gewor­den. Ein Mini­rock, der von Wei­tem noch wie ein Ket­ten­hemd anmu­tet, ent­puppt sich aus der Nähe als zusam­men­ge­setzt aus Bier­do­sen-Auf­riss­la­schen. Ort­ners Klei­dung wider­strebt der Ästhe­tik des Estab­lish­ments, sucht die Unab­hän­gig­keit von gesell­schaft­li­chen Nor­men – dass sie genau damit Main­stream-Trends inspi­riert haben könnte, gehört zum beson­de­ren Cha­rak­ter der Mode. .

Weit über die Lan­des­gren­zen hin­aus bekannt war die Mode­jour­na­lis­tin Ange­lica Blech­schmidt: Sie lei­tete als Chef­re­dak­teu­rin die Mode­zeit­schrift Vogue. Weni­ger ihre schwar­zen Cock­tail­klei­der sind es, die nun im Museum ins Auge fal­len, als die aus­ge­fal­le­nen Acces­soires mit denen die 1941 Gebo­rene Auf­merk­sam­keit erregte – zum Bei­spiel eine trans­pa­rente Handtasche.

Kleidung von Anne Lühn: weniger Körperfokussiert. Links: Shirt/Minikleid, Issey Miyake, 1997; rechts: Handtasche, Alessandro Mendini, um 1987, MK&G
Klei­dung von Anne Lühn: weni­ger kör­per­fo­kus­siert. Links: Shirt/Minikleid, Issey Miyake, 1997; rechts: Hand­ta­sche, Ales­san­dro Men­dini, um 1987, MK&G, Foto: Anne Schönharting/Agentur Ostkreuz

Zum Ende der Aus­stel­lung hin lei­ten Klei­der von Anne Lühn aus den Jah­ren 1985 bis 2020 zurück ins Hier und Jetzt. Die Stü­cke, die über­wie­gend von japa­ni­schen De­si­gne­r:in­nen stam­men, ver­kör­pern eine Gegen­po­si­tion zum stark die Kör­per Nor­mie­ren­den der Mode­indus­trie: eine inklu­sive Klei­dungs­kul­tur, in der weder der Kör­per noch das Alter Deter­mi­nan­ten des Ästhe­ti­schen sind.

„Dres­sed“ erzählt in Baum­wolle, Seide oder Leder gear­bei­tete Geschichte der Mode selbst, aber auch der Frauen und ihrer Schick­sale. „Die Erzäh­lung“, so MKG-Direk­to­rin Tulga Bey­erle, „geht aber auch dar­über hin­aus und behan­delt ein bis heute rele­van­tes Thema: Die sich ver­än­dernde Rolle der Frau in der Gesell­schaft.“ Dafür hat das Museum die Prot­ago­nis­tin­nen mög­lichst viel­fäl­tig aus­ge­wählt, nicht bloß nach Prominenz.

Diese Viel­falt hat Gren­zen: Wie sich etwa eine arme Frau klei­det, klei­den kann: Das sucht man hier ver­ge­bens. Um aus­ge­stellt zu wer­den, muss Klei­dung eines von zwei Kri­te­rien erfül­len, scheint es: Sie muss teuer gewe­sen sein oder aber unkon­ven­tio­nell wie die von Ines Ort­ner. Damit offen­bart sich in der Aus­stel­lung auch der trotz allem exklu­sive Cha­rak­ter von modisch defi­nier­ter Klei­dung. Wem es an Geld bezie­hungs­weise Zeit und/oder Talent fehlt, dem ist eine Reprä­sen­ta­tion der eige­nen Geschichte uner­reich­bar – zumin­dest in die­ser Ausstellung.

Was an „Dres­sed“ den­noch über­zeugt: Den schma­len Grat, Mode mit einer auf Frauen begrenzte Aus­stel­lung als genuin femi­ni­nes Thema zu defi­nie­ren, haben die Kura­to­rin­nen – betei­ligt war auch Ange­lika Riley, Lei­te­rin der Samm­lung Mode und Tex­til – bes­tens gemeis­tert. In den Bio­gra­fien spie­geln sich Eman­zi­pa­tion, die Gestalt­bar­keit weib­li­cher Lebens­ent­würfe und der Wan­del (nicht nur) von Mode. Und nach Lühns Gar­de­robe ganz zum Schluss, also einer Abkehr vom Bild weib­li­cher Mode als Rah­mung all­zu­oft sexua­li­sier­ter Kör­per­vor­stel­lun­gen, ver­lässt man das Museum zufrie­de­ner, als dass man es betrat.

Dres­sed — 7 Frauen 200 Jahre Mode: bis 28. 8., Ham­burg, Museum für Kunst und Gewerbe


Titel­foto: Anne Schönharting/Ostkreuz

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