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30 km/h in ganz Hamburg: Weniger Tempo, weniger Tod
30 km/h in ganz Hamburg: Weniger Tempo, weniger Tod

30 km/h in ganz Hamburg: Weniger Tempo, weniger Tod

Gilt bald über­all Tempo 30 in Ham­burg? Der Ver­kehrs­aus­schuss prüft nach einen Antrag der Lin­ken einen Bei­tritt zur Initia­tive „Lebens­werte Städte durch ange­mes­sene Geschwin­dig­kei­ten“. Die for­dert ein Gesetz, um die zuläs­si­gen Höchst­ge­schwin­dig­kei­ten auch auf Haupt­ver­kehrs­stra­ßen zu dros­seln.

taz-Arti­kel

HAMBURG taz | Wer auf viel befah­re­nen Stra­ßen Tempo 30 ein­füh­ren will, braucht bis­lang gute Gründe. Die Ham­bur­ger Linke will die Beweis­last nun umkeh­ren: In Zukunft soll Tempo 30 auf allen Stra­ßen die neue Regel­ge­schwin­dig­keit sein. Wenn Tempo 50 gel­ten soll, soll das begrün­det wer­den. Der­zeit gilt Tempo 30 auf vier Pro­zent der Ham­bur­ger Haupt­ver­kehrs­stra­ßen. Die Stadt, so for­dert die Linke, soll Teil der Initia­tive „Lebens­werte Städte durch ange­mes­sene Geschwin­dig­kei­ten“ werden.

Sie­ben Städte haben die Initia­tive im Juli 2021 gegrün­det. Orga­ni­siert vom Thinktank „Agora Ver­kehrs­wende“ mit Betei­li­gung des Deut­schen Städ­te­ta­ges machen bereits 170 Städte und Gemein­den mit. Pro­mi­nen­tes­tes Mit­glied ist seit Kur­zem Ber­lin, aber auch andere große Städte wie Köln, Frank­furt und Bre­men haben sich zu den gemein­sa­men Zie­len bekannt.

Vom Bund for­dert die Initia­tive als Bestand­teil eines nach­hal­ti­gen Mobi­li­täts­kon­zepts eine recht­li­che Grund­lage, um Tempo 30 als neue Regel­ge­schwin­dig­keit ein­zu­set­zen. Im Kern geht es dem Bünd­nis auch um die eigene Deu­tungs­ho­heit und Hand­lungs­be­fug­nis, da die aktu­elle Stra­ßen­ver­kehrs­ord­nung den Kom­mu­nen die Aus­wei­sung von Tempo-30-Zonen auf Haupt­ver­kehrs­stra­ßen nur in einem engen büro­kra­ti­schen Kor­sett ermög­licht, zum Bei­spiel vor sozia­len Ein­rich­tun­gen oder Krankenhäusern.

„Dass der Antrag nicht sofort abge­lehnt wurde, zeigt, dass Rot-Grün sich nicht ein­fach vor der Tempo-30-Frage drü­cken kann“, sagt Heike Sud­mann, Fach­spre­che­rin der Lin­ken für Ver­kehr, gegen­über der taz. Aus der Ham­bur­ger Bür­ger­schaft wurde der Vor­schlag an den Ver­kehrs­aus­schuss über­wie­sen, der aller Vor­aus­sicht nach am 23. Juni über eine mög­li­che Mit­glied­schaft in der Initia­tive dis­ku­tie­ren wird.

Unfälle verlaufen glimpflicher

Auf taz-Anfrage beken­nen sich die Regie­rungs­frak­tio­nen von SPD und Grü­nen zu mehr Tempo 30 und weni­ger Tempo 50 und ver­spre­chen eine Prü­fung und Dis­kus­sion. „Als grüne Bür­ger­schafts­frak­tion unter­stüt­zen wir die For­de­rung nach mehr Frei­hei­ten für Kom­mu­nen, Tempo 30 auch auf Haupt­ver­kehrs­stra­ßen anzu­ord­nen oder die Regel­ge­schwin­dig­keit in der gan­zen Stadt ent­spre­chend zu redu­zie­ren“, so die Spre­che­rin für Mobi­li­täts­wende der Grü­nen-Bür­ger­schafts­frak­tion, Rosa Domm.

Bei der SPD-Frak­tion klingt das etwas anders: Man möchte zwar, wie im Koali­ti­ons­ver­trag ver­ein­bart, ins­be­son­dere vor Schu­len und Kitas mehr 30er-Zonen ein­rich­ten, will an der Regel­ge­schwin­dig­keit von 50 Kilo­me­tern pro Stunde für Haupt­ver­kehrs­stra­ßen aber wei­ter festhalten.

Außer­halb des Rat­hau­ses fin­det der Antrag der Lin­ken breite Unter­stüt­zung, so etwa beim BUND Ham­burg. Auch der All­ge­meine Deut­sche Fahr­rad-Club ADFC for­dert schon seit Jah­ren mehr Stra­ßen mit Tempo 30 als Limit. Unfälle wür­den bei gerin­ge­rer Geschwin­dig­keit glimpf­li­cher ver­lau­fen, so der ADFC in einem Posi­ti­ons­pa­pier. Bei einer Auf­prall­ge­schwin­dig­keit von 30 Stun­den­ki­lo­me­tern über­le­ben etwa 90 Pro­zent der Fuß­gän­ge­r:in­nen einen Unfall, bei Tempo 50 sind es nur 20 Prozent.

Ver­kehrs­si­cher­heit ist ein zen­tra­ler Aspekt in der Debatte um Tempo 30. Im Ham­bur­ger Koali­ti­ons­ver­trag von SPD und Grü­nen ist die Reduk­tion von Ver­kehrs­to­ten fest­ge­schrie­ben, die „Vision Zero“. Dass eine flä­chen­de­ckende Ein­füh­rung von Tempo 30 im Stadt­ge­biet zu einer signi­fi­kan­ten Reduk­tion von Ver­kehrs­to­ten füh­ren würde, glaubt Chris­tian Hieff vom ADAC Ham­burg aber nicht. Die meis­ten Unfälle pas­sier­ten an Kno­ten­punk­ten wie etwa beim Abbie­gen an Kreu­zun­gen. Weil das Tempo dort in der Regel gerin­ger sei, wäre eine Dros­se­lung auf Tempo 30 nicht ziel­füh­rend, sagt er.

Doch das Vor­ha­ben soll nicht nur Leben ret­ten, son­dern auch die Lebens­qua­li­tät erhö­hen. Tempo 30 bedeute weni­ger Lärm, weni­ger Schad­stoffe, mehr Auf­ent­halts­qua­li­tät – die­ser Glei­chung wider­spricht Hieff. Bei Tempo 30 gebe es einen höhe­ren Schad­stoff­aus­stoß durch Ver­bren­nungs­mo­to­ren und eine zusätz­li­che Abwan­de­rung der Au­to­fah­re­r:in­nen in Wohn­ge­biete, wo es in der Folge dann auch lau­ter und dre­cki­ger werde. Zudem werde auch der Bus­ver­kehr aus­ge­bremst, 220 Mil­lio­nen Euro für Bus­op­ti­mie­rung habe man dann umsonst investiert.

Tat­säch­lich gibt es Stu­dien, die zei­gen, dass bei Tempo 30 die Fein­staub­be­las­tun­gen anstei­gen kön­nen. Andere Unter­su­chun­gen kom­men hin­ge­gen auf posi­ti­vere Ergeb­nisse. In Ber­lin sank bei einer Unter­su­chung die Belas­tung mit Stick­stoff­di­oxid durch die Ein­füh­rung von Tempo 30 um bis zu 12,8 Pro­zent, auch die Koh­len­stoff- und Fein­staub­be­las­tung waren rückläufig.

Kein Problem für Busse

Eine wich­tige Deter­mi­nante ist immer auch der Ver­kehrs­fluss. Wenn er auf­recht­erhal­ten oder ver­bes­sert wer­den kann, wie etwa durch intel­li­gente Ampel­schal­tun­gen, dann wer­den durch eine Tem­po­sen­kung auch Schad­stoffe redu­ziert. Eine Unter­su­chung aus Madrid kommt zusätz­lich zu dem Ergeb­nis, dass sich die Fahr­zeit in Innen­städ­ten durch die Umstel­lung von Tempo 50 auf Tempo 30 nicht ver­än­dert, wäh­rend alle Emis­si­ons­werte und der Sprit­ver­brauch deut­lich abnehmen.

Dass der Bus­ver­kehr von einer Geschwin­dig­keits­re­gu­lie­rung beein­träch­tigt würde, glaubt Heike Sud­mann, die auch dem Ver­kehrs­aus­schuss vor­sitzt, nicht. Die Abstände zwi­schen den Hal­te­stel­len seien teil­weise so gering, dass die Busse Tempo 50 nur kurz­zei­tig errei­chen wür­den. Das Bus­op­ti­mie­rungs­pro­gramm habe zudem Fak­to­ren wie Fahr­kar­ten­au­to­ma­ten oder die Opti­mie­rung von Abbie­ge­si­tua­tio­nen geför­dert, die unab­hän­gig von der Höchst­ge­schwin­dig­keit Aus­wir­kun­gen zeig­ten. Die Durch­schnitts­ge­schwin­dig­keit der Busse in Ham­burg liegt aktu­ell bei 17 Stun­den­ki­lo­me­tern, je nach Linie kön­nen die Werte aber stark abweichen.

„Als vor einem Jahr die Städte­initiative star­tete, ging ich davon aus, dass ein grü­ner Ver­kehrs­se­na­tor in Ham­burg selbst­ver­ständ­lich dafür sor­gen würde, dass Ham­burg der Ini­tiative bei­tritt“, so Sud­mann. Dass es dafür jetzt die Oppo­si­tion brau­che, zeige, wie stark der Ein­fluss der Auto­lobby noch immer sei.


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